Pflege und Corona. Um die breite Notstandspalette im Pflegesektor aufzudecken, waren harte Fakten noch nie so hilfreich wie in der aktuellen Lage –
der Applaus der Bevölkerung lässt sich zumindest als Aufmerksamkeit erregende Begleiterscheinung hinzuziehen.
Doch auch wenn überfordertes Personal, unzählige Überstunden, Fachkräftemangel, fruchtloses Recruiting und schleppende Digitalisierungsprozesse schon vor der Coronakrise allgegenwärtig waren, können Politik und Gesellschaft nun nicht länger ignorieren, was seit zu vielen Jahren kaputt gewirtschaftet oder schlechthin ignoriert wurde.
Plötzlich – und daran muss man sich am heftigsten stoßen – ist das Pflegewesen als „systemrelevant“ in aller Munde. Was im Umkehrschluss die Frage aufwirft, ob es das vorher möglicherweise nicht war.
Natürlich ist dieser Gedanke Nonsens, denn ob mit oder ohne Corona kümmern sich in Deutschland fast zwei Millionen Pflegekräfte täglich um stabile Versorgung, das Altern in Würde, Rettungen in letzter Sekunde und damit auch um das einzige, was vielen Pflegebedürftigen und deren Angehörigen in schwierigen Zeiten bleibt: Hoffnung.
Wer nun Heilung, Erholung und Fürsorge am Menschen verlangt, kann Pfleger*innen nicht das Gegenteil abverlangen. Die logische Schlussfolgerung: Soll der Patient Genesung erfahren, setzt dies auch eine Genesung des Systems, ergo des Notstands voraus.
Quelle: twitter.com/Kaffeecup
Nicht nur vor anderen Türen caren
Wenn eingangs von harten Fakten und deren unumstrittener Wichtigkeit die Rede war, lassen Sie uns an der Stelle einmal fantasieren: Stellen wir uns vor, sämtliche Pflegekräfte begännen zu streiken, weil ihre Arbeitsbedingungen mehr als verbesserungswürdig, jegliche Kapazitäten in höchstem Maße überlastet sind. Dass sie keine Studien brauchen, um zu wissen, dass ebenfalls die Gesundheit ganzer Belegschaften unter diesen katastrophalen Mangelerscheinungen leidet, steht wie angedeutet außer Frage.
Und nun stellen Sie sich vor, der Pflegesektor täte es aus Gründen fehlender Wertschätzung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) gleich und träte in einen Streik. Sie haben’s erfasst: Anstatt der Bahn könnte man bestimmt auch mal auf Taxi, Bus, Fahrrad, E-Scooter oder sonst was umsteigen. Pflege hingegen ist genauso alternativlos wie die gebührende Anerkennung, die den Menschen – ganz egal ob stationäre Krankenschwester in Doppelschicht oder ambulanter Krankenpfleger in tagtäglicher Dauerbereitschaft – schlichtweg nicht zuteil wird.
Von Applaus kann man sich nichts kaufen, von Geld schon.
In Zeiten, in denen der kaum tröstliche Schulterklopfer so oder so vermieden werden sollte, kann allabendlicher Applaus, mit dem die Bevölkerung dem Pflegesektor Respekt zollt, bloß wenig Abhilfe leisten. Was es stattdessen braucht, sind Risikozuwendungen, Personalentlastungen und ein Gesundheitssystem, dass auf Augenhöhe agiert, anstatt sich vom Glasturm der Privatisierung aus marode zu haushalten. Wer für Banken und industrielle Wirtschaftszweige ohne mit der Wimper zu zucken milliardenschwere Kreditpakete schnürt, sollte nicht anfangen, am Menschen zu sparen.
Fakt ist, dass der Mangel von circa 400.000 Fachkräften wenig Hoffnung auf eine Besserung der Lage macht. Es wirkt somit fast zynisch, die derzeitige Situation mit dem Etikett „Krisenzeit“ zu labeln. Wir alle befinden uns in einer coronabedingten Krise, keine Frage. Man sollte deshalb jedoch nicht verkennen, dass die Pflegebranche nicht erst seit der Verbreitung des COVID-19-Erregers in einer solchen steckt. Kliniken, Ambulanzen und Pflegeheimen fehlte es auch schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie hinten und vorne an Personal.
Karriere als Mensch: Der richtige Grund, um Pfleger*in zu werden
Um diesen Mangel aufzufangen oder wenigstens ein Stück weit abzufedern, bringt auch die bis hierher gängigste Rekrutierungsmaßnahme nur wenig: Fachkräfte aus dem Ausland sind zwar wünschenswert, mittel- bis langfristig auch notwendig. Ihre Implementierung in das deutsche Pflegewesen scheitert jedoch oftmals schon an bürokratischen Hürden – es sei denn, man schafft es diese gleich zu überwinden, um von guter Arbeit bei gleichzeitig geringen Kosten zu profitieren. Schwarzarbeit, wenn man denn will, ließe sich so ganz nett umschreiben. Ausgebildetes Personal aus dem Ausland kann unter Umständen natürlich auch auf ein Visum oder diverse Zulassungsbescheide warten. Ein pflegebedürftiger, von sämtlichen Vorerkrankungen gezeichneter Patient kann es jedenfalls nicht.
Man muss also andere Wege finden, um ausreichend geschultes Pflegepersonal für einen Job zu begeistern, der in erster Linie deshalb so wenig Anklang findet, weil er ganz einfach unterirdisch bezahlt ist. 500 Euro mehr Bruttogehalt wäre in diesem Zusammenhang nichts weiter als ein längst überfälliger Anfang – nicht zuletzt, weil sich Arbeitnehmer*innen ihres Wertes durchaus bewusst sein dürfen.
Corona und PflegeNeue Wege einschlagen
Da politische Versprechen in der Vergangenheit oft ins Leere liefen, helfen Ihnen als Arbeitgeber durchaus zielgerichtete Recruitingmaßnahmen, die die Kommunikationskanäle der Gegenwart berücksichtigen. Ebenfalls eine emotionale und emphatische Markenprofilierung und ein flexibleres Arbeitskonstrukt unterstützen Sie hierbei.
Potentielle Pfleger*innen als zukunftswahrende Schutzpatronen der Menschlichkeit zu positionieren, sensibilisiert für den höheren Zweck.
Verzichten Sie bitte darauf, nach „Helden und Heldinnen“ zu suchen.
Letztlich suggerieren Sie damit nichts anderes als eine ewig währende Katastrophe, für die es aufrichtige Helfer*innen braucht, die sich unter Umständen auch noch schlecht bezahlen lassen. Arbeitnehmerbindung ist in dem Zusammenhang übrigens genauso wichtig, denn hier offenbart sich, ob Sie als Arbeitgeber für Werte und Visionen stehen, an die es sich zu glauben lohnt.
Legende: Stellen Sie sich mal vor, ein Unternehmen erzählt die ganze Zeit davon, wie toll Sie sind, wenn Sie dort arbeiten, und dann stellen Sie ernüchtert fest: Ist gar kein Heldendienst, sondern ein Knochenjob. Zumal: Was suggerieren wir eigentlich, wenn wir Mitarbeiter zu Helden machen? Dass der Job eine fortwährende Katastrophe ist, die aufrichtige Retter braucht. Corona
Wie das aussehen kann, demonstriert das von Jos de Blok ins Leben gerufene Buurtzorg-Pflegemodell. Dabei rückt Buurtzorg („Nachbarschaftsbetreuung“) das Credo „Menschlichkeit vor Bürokratie“ in den Vordergrund – was bis heute dazu geführt hat, dass das Unternehmen in den Niederlanden zwischen 2011 und 2019 bereits viermal zum Arbeitgeber des Jahres gewählt wurde. Während der sogenannte „Solidargedanke“ im Pflegewesen hierzulande erst wieder im Zuge der Coronakrise Konjunktur feiert, ist die pflegefachliche und gleichermaßen menschliche Nähe im Buurtzorg-Netzwerk als integraler Bestandteil fest verankert. Die Arbeitsweise fußt hierbei auf einer besonderen Organisationsstruktur, die sich sogar in unserer Arbeit als Marketing-Dienstleister widerspiegelt: Kleine Teams organisieren sich weitestgehend autark und koordinieren ihre Aufgabenbereiche entsprechend verschiedener Spezial-Expertise.
Im kollektiven Zusammenspiel schafft das die perfekten Rahmenbedingungen für die Berufung eines jeden Einzelnen.
Die eigentliche Frage danach, was man überhaupt für ein Typ ist, wer was wie gut kann und auf welche Weise all diese Faktoren im Sinne eines gemeinsamen Ziels zur Geltung kommen können, sollte ganz oben auf Ihrer Recruiting-Agenda stehen. Der Clou: Ein solches Modell gewährleistet Ihnen und denen, die Sie beschäftigen wollen, mehr Autonomie. Pflege und Selbstbestimmung fusionieren im Sinne der eigenen Stärken und Interessen miteinander. Die Folge: Mehr Motivation zur Teilhabe an einer übergeordneten Sinnstiftung.
Corona und Pflege Corona und Pflege: Gesundheit ist keine Ware
Wenn Sie denken, das sei zu hoch gegriffen, hören Sie sich gerne einmal um. Denn in der Pflege herrscht nachhaltige Frustration. Das liegt einerseits daran, dass man Fürsorge und Hilfsbereitschaft schlecht messen kann und sie (viel schlimmer noch) als gottgegeben abwinkt. Wo essentielle Verantwortung im produzierenden Gewerbe beispielsweise gut abgebildet werden kann, wird Leidensfähigkeit in der Pflege maßlos überschätzt – was dem entsprechenden Personal oft genug das Gefühl gibt, Fußabtreter für brüchige Privatgeschäfte zu sein. In der Natur der Sache liegt dann auch, dass sich dieser Rattenschwanz bis zum Patienten durchzieht.
Hier reden wir zum Teil von Menschen, die den Wohlstand dieses Landes mitverantworten, nun aber immer öfter nicht einmal den Tellerrand ihrer eigenen Grundversorgung sehen.
Prognosen, nach denen sich der Fachkräftemangel in der Pflege in den nächsten zehn Jahren verdreifachen wird, versprühen daher nicht nur wenig Optimismus, sondern zeigen auch auf, dass wertschätzendes Personalmanagement zugunsten finanzieller Effizienz sträflich vernachlässigt wurde. So lautet die Gretchenfrage: Sollte sich ein Krankenhaus in erster Linie rechnen oder vornehmlich doch lieber Menschen gesund machen? Wenn also ab Ostern ebenfalls 200.000 Kräfte in der ambulanten Pflege fehlen, dann weil ihnen neben besserem Gehalt und steuerfreien Prämien ebenso wenig Aufstiegschancen in Aussicht gestellt werden.
Das Coronavirus öffnet uns dahingehend noch einmal die Augen.
Denn neben der viralen Gefahr, der sich pflegendes Personal in Zeiten wie diesen aussetzt, lastet auf ihren Schultern gleichermaßen eine gesamtgesellschaftliche Angst, die in drei Worten präzise zusammengefasst werden kann: „Haltet ihr durch?“ Sie müssen ja, schließlich kann Pflege nicht mal eben ins Homeoffice. Wenn Fachkräfte aber erst mal angemessen bezahlt werden, werden auch zunehmend Menschen Anreiz haben, diesen system- und allen voran zukunftsrelevanten Beruf zu ergreifen.
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Erst das Klatschen, dann die Moral:
Pflege während und nach Corona
„Systemrelevant“ ist der Anwärter auf das Unwort des Jahres